Gerrit van Aaken ist seit Ende 2003 als
prägnanter Designblogger bekannt. Seine Portraits freier Schriften sind sehr beliebt und werden nur von der fünfteiligen Essay-Trilogie "Typo im Web" getoppt. Van Aaken ist darüber hinaus Podcaster der ersten Stunde und wird ab Herbst eine wöchentliche Audioshow rund um Typografie produzieren.
Website:
praegnanz.de
Aufgabe: Ein Foto von Angela Merkel machen, auf dem sie sympathisch, kompetent und zuversichtlich aussieht. Unmöglich? Nicht für die Profis der CDU! Und weil das Bild so teuer und aufwändig war, ist der Rest auch nicht mehr so wichtig. Ein kurzer Griff in die Floskel-Kiste: „Deutschlands Chancen nutzen“ – Super, das hätte auch 1945, 1972, 1990 und 1998 gepasst. Ein Plakatmotiv, das nichts falsch machen will, aber gerade deswegen so unendlich beliebig ist, dass man es in der Straßenlandschaft locker übersieht. Handwerklich gut
gemacht, nach Corporate-Design-Richtlinien umgesetzt, aber ohne jegliche Form von Esprit. Eher ein prove of concept: Ja, selbst Frau Merkel kann unter Umständen fotogen sein.
Die typografischen Plakate der CDU sind weichgespülte Neunziger-Jahre-Layouts, die wirklich keine Hingucker sind: Zu harmonisch, zu brav, zu oberflächlich „schön“. Der Text komplett auf Mittelachse gesetzt, ein dunkelroter Verlauf als Fonds (Sind wir hier im Theater?) und ein unglaublich pfiffiger Störer in der Kontrastfarbe Orange. Dumm nur, dass dieses Orange so fantastisch zum Dunkelrot passt, dass man überhaupt nicht mehr von einem Störer reden kann. Wenn man schon dringend eine Kampagne starten muss, die den politischen Gegner beschimpft, dann dürfen die Plakate nicht die Wirkung einer Beruhigungstablette haben.
„Und dann haben wir noch eine ganz mutige Karte, die total reduziert ist und Schröder wortwörtlich an den Rand drängt“, so berichtet begeistert der Agenturchef den skeptischen CDU-Wahlstrategen. Skeptisch zurecht, denn trotz der kleinen Schrift und der sachlichen Aufmachung ist das eine plumpe Idee mit einem plumpen Spruch. Schon tausendfach gesehen. Ich weiß schon: Das finden die Stammtischler wahrscheinlich zum Brüllen komisch, weil sie stolz darauf sind, den Witz kapiert zu haben und sich intellektuell fühlen. Doch ist das der CDU nicht zu billig? Man hätte das Bild auch weglassen können und schreiben „Schröder ist doof“. Die jetzige Karte ist nur minimal intelligenter. Grafisch allerdings, wie schon angedeutet, sehr sauber und spannungsreich gemacht. Freiraum, Baby.
Die FDP traut sich wenigstens, offen mit Sex zu werben; Nun, das gut gelaunte Mädel vom People-Bilderstock kommt wahrscheinlich aus Barcelona und weiß einen Dreck über Guido Westerwelle. Aber man kann ja trotzdem mal einen Espresso in die Kamera halten sich von der Agentur betexten lassen. Dabei ist der Vergleich der FDP mit einem kleinen, starken Espresso sogar ziemlich treffend. Der dogmatische Einsatz von Blau und Gelb tut den FDPWerbemitteln
gut, wäre hier nicht dieser unsägliche „Zweitstimme“-Störer, der mit seiner plastischen Wirkung und der kursiven Schrift das ganze Konzept kaputt macht. Typisch: Kaum stellt die Designagentur ein paar klare und kompromisslose Regeln auf, schon werden sie von der Werbeagentur verwässert. Sollte es da eine Parallele zu den kompromisslosen politischen Forderungen der FPD geben?
Bewusstes Spiel mit dem Feuer, souveräne Selbstironie oder einfach nur Naivität? Die FDP wird auch im Jahre 2005 die große, dicke 18 nicht los. „Wenn wir schon keine 18 Prozent der Stimmen erreichen, dann soll der große Bruder CDU wenigstens auch keine 18 Prozent Mehrwertsteuer durchsetzen können. Die Kontrastwirkung ist dabei phänomenal, was natürlich bei Weiß auf Schwarz (=Union) kein Kunststück ist. Das typografische Konstrukt ist jedoch wohl durchdacht und auf maximale Kompaktheit getrimmt. Da hat ein geübtes Auge dran gesessen. Die Aussage ist klar und unmissverständlich. Ein gelungenes Motiv, wenn auch nicht brutal einfallsreich.
Auf vielen Plakaten verzichtet die SPD auf Fotos. Gut so, denn Eichel, Clement und Co. eignen sich zurzeit nicht gerade als Sympathieträger. Von daher Typostreifen auf Umbra. Die neue Fondsfarbe der SPD hat was von Altpapier oder Umzugskartons. Die Schrift wird durch die Streifen zu einer Beschriftung und alles soll ein wenig provisorisch wirken, schnell zusammengeklebt, schließlich muss man ja noch fleißig regieren. Die SPD kehrt sich vom Hochglanz ab, macht einen in Ärmelhochkrempeln und trägt damit dem noch nicht abgeschlossenen Reformprozess Rechnung. Solche Assoziationen funktionieren nicht auf den ersten Blick und sind vielleicht einen Hauch zu sophisticated für eine Volkspartei. Doch freche Sprüche gehen natürlich immer. Vor allem, wenn es um das populäre Merkel-Bashing geht.
Es gibt keine guten Wortspiele. Dieser Grundsatz wird von vielen Werbetextern glücklicherweise konsequent eingehalten. Die SPD sieht das anders. „Originell!“ und „Dufte!“, hat bestimmt auch Münte gesagt und seinen Segen gegeben. Doch wir wollen keine Wortspiele. Sie führen zu nichts. Der Art Direktor ahnt das schon, denn er meidet die SPDFarben. Und die URL am unteren Rand zeigt auf www.die-falsche-wahl.de. Das ist die verschärfte Form des Markel-Bashing: Anonymes Merkel-Bashing! Eine unfeine Art, zwar grafisch klar und schick umgesetzt, aber gleichzeitig plump und ein wenig dümmlich. Man kann es sich auch zu einfach machen!
Die Linkspartei überrascht mit den modernsten Plakaten aller Parteien. Frisch und bunt, deutliche Größenkontraste, angesagte Bildsprache: Die ehemalige SED gibt sich ein fettes Image als Partei der Jugend und des Aufbruchs. Eigentlich eine seltsame Taktik, denn man bedient sich einer stilisierten Konsumwelt-Ästhetik. Und ist Konsum nicht in einem Atemzug mit Kapitalismus zu nennen? Nun, offensichtlich versuchen die Linken massiv, ihr angestaubtes Sozialistenimage in das neue Jahrtausend zu katapultieren. Formal sehr gut
gemacht: Aktiv, spritzig und einfallsreich, dabei aber weder anbiedernd noch verschreckend. Grafisch der klare Sieger.
Der seriöse Gegenpart zu den bunten Piktogramm-Plakaten. Lustigerweise fehlt hier die PDS im Logo. Dank Zweifarbdruck günstiger herzustellen. Aufgeräumt, klar und mit großen Worten eines kleinen Mannes. Das Zitat ist in der Corporate S gesetzt. Eine clevere Wahl, denn man sieht in den letzten Jahren so selten serifenbetonte Schriften in der Öffentlichkeit, dass hier eine ungewohnte Frische zu zu Tage tritt. Das ist alles nicht spektakulär, dennoch kann sich das Plakat wegen seiner Geradlinigkeit und seiner Frische durchsetzen. Das Schwarz-Weiß-Portrait tut sein übriges, um aufzufallen. Welcher Spitzenpolitiker würde es zulassen, sich ohne kuschelige Farben fotografieren zu lassen? Nur der Oskar und der Gregor!
Bei den Grünen nimmt der Störer gleich ein ganzes Drittel der Fläche in Anspruch. Nun ja, Störer kann man den fetten Kasten fast nicht mehr nennen. Aber eins muss man sagen: Auffällig und laut sind die Plakate allemal. Die fettschwarz eingerahmte Groteske in Versalien macht unmissverständlich deutlich, dass hier angepackt wird und nicht rumgelabert. Klare Botschaften im Kastendesign, stets ausreichend grüne Farbflächen und ein, naja, ganz nettes Fotomotiv. Die Grünen erfinden das Rad keinesfalls neu. Subtile Elemente sucht man vergeblich und ein bestimmter grafischer Stil ist ebenfalls nicht zuzuordnen. Ein bisschen ratlos betrachtet man die Plakate, die einem keinen rechten Angreifpunkt bieten, aber auch nicht wirklich begeistern können. Da fehlt ein bisschen was Krasses. Die Grünen konnten das früher doch ganz gut!